Der Stehrollstuhl bei Tetraplegie: Gesundheit, Selbstständigkeit und soziale Teilhabe

Bei Personen mit Tetraplegie (hoher Querschnittlähmung) ist die Stehfunktion des Rollstuhls von entscheidender Bedeutung, insbesondere wenn sie auf einen Elektrorollstuhl angewiesen sind. Doch auch für Nutzer manueller Rollstühle bietet ein Stehrollstuhl (Aufsteh-Rollstuhl) einen erheblichen therapeutischen und funktionalen Mehrwert.

Regelmäßiges, assistiertes Stehen trägt maßgeblich zur Gesundheitsstabilisierung und zur psychosozialen Teilhabe von Menschen mit hohem Querschnitt bei.

Funktion Nutzen durch die Stehposition
Atmung und Lungenkapazität Die Aufrichtung des Rumpfes in die Vertikale unterstützt die Zwerchfellfunktion, erleichtert die Atmung und senkt das Risiko von Atemwegskomplikationen.
Verdauung Die Schwerkraft-unterstützte Haltung verbessert die Darmtätigkeit (Darmperistaltik) und kann Verdauungsprobleme lindern.
Kreislauf Das regelmäßige vertikale Stehen trainiert die orthostatische Regulation des Kreislaufs, was einer Kreislaufschwäche entgegenwirkt.
Muskeln und Knochen Die Belastung der unteren Extremitäten wirkt dem Knochenschwund (Osteoporose) entgegen. Das Dehnen von Bändern und Sehnen beugt Verkürzungen (z. B. Spitzfuß/Pes equinus) vor.
Psyche/Wohlbefinden Die Stehposition ermöglicht die Kommunikation auf physischer Augenhöhe mit Fußgängern. Dieser selbst bestimmt gewählte Perspektivwechsel fördert die Gleichberechtigung in sozialen und beruflichen Interaktionen und stärkt das Selbstbild sowie die Teilhabe.

Die Fähigkeit zu stehen wird rechtlich als eigenständige Körperfunktion anerkannt. Eine zusätzliche Versorgung mit einem Stehrollstuhl gilt daher nicht als unzulässige Doppelversorgung.

  • Vorrang von Standhilfen: Krankenkassen bevorzugen oft zunächst statische Hilfsmittel wie Stehständer. Diese sind jedoch nur geeignet, wenn ausreichend Platz vorhanden und der Transfer vom Rollstuhl in das Gerät sicher möglich ist.
  • Indikation für den Stehrollstuhl: Sind die Voraussetzungen für statische Hilfsmittel nicht gegeben (z. B. wegen schwieriger Transfers oder mangelnder Raumfreiheit), muss der mobile Stehrollstuhl genehmigt werden. Dieser bietet den entscheidenden Vorteil, dass man auch im Stehen mobil ist.
  • Verordnung: Eine präzise und umfassende ärztliche Verordnung (Rezept) ist für die Bewilligung durch den Kostenträger erforderlich.

Für den Einsatz im beruflichen Umfeld gibt es weitere Finanzierungsmöglichkeiten. Näheres erfahren Sie in unserem Ratgeberteil über Finanzierung.

Bei Tetraplegie sind Nutzer häufig auf Sondersteuerungen (wie Kinn-, Kopf- oder sogar Augensteuerungen) angewiesen. Die Integration dieser Systeme in einen Stehrollstuhl erfordert eine sorgfältige Abstimmung.

  • Kopfstabilisierung: Die größte technische Herausforderung ist die Kopfunterstützung in der Stehposition. Sie muss Stabilität bieten, ohne die Funktion der Steuereinheit zu behindern. Eine fachkundige Beratung durch das Sanitätshaus und den Therapeuten ist hier essenziell.
  • Kombinierte Steuerung: Moderne elektrische Stehrollstühle sind so konzipiert, dass die Sondersteuerungen nicht nur das Fahren, sondern auch die komplexen Verstellfunktionen (Kippen, Liegen und Stehen) präzise und sicher bedienen können.

Auch bei bereits existierenden Kontrakturen kann ein Stehrollstuhl eingesetzt werden, wenn die Einstellungen individuell angepasst werden:

  • Adaption bei milden Kontrakturen: Bei leichten Versteifungen (oft unter 20°) können die Bewegungsparameter der Stehmotoren begrenzt und programmiert werden. Dies ermöglicht ein sicheres Stehen innerhalb der vorhandenen Restbeweglichkeit.
  • Anpassungsfähigkeit der Elektronik: Moderne Rollstühle erlauben es Therapeuten, diese Einstellungen flexibel an den jeweiligen Therapieverlauf anzupassen.
  • Stärkere Kontrakturen: Bei ausgeprägten Kontrakturen ist eine individuelle ärztliche und therapeutische Beurteilung notwendig, um den therapeutischen Nutzen und die Machbarkeit des Stehens abzuwägen.
  • Manuelle Stehrollstühle: Die Anpassung manueller Stehrollstühle bei Kontrakturen erfordert spezialisiertes Fachwissen und muss durch qualifiziertes Personal des Sanitätshauses erfolgen.